Morgenröte
Man
nannte sie die Edenhofer Mutti, obwohl sie keine Kinder hatte. Sie war seit
Jahren verwitwet und wohnte im letzten Häuschen am Ortsrand. Die Karolina, so
hieß sie mit Vornamen war aus der Sicht von uns Buben fürchterlich alt und
besonders fromm. Sie hatte ein sehr faltiges Gesicht und wirkte mit ihrem
langsamen bedächtigen Gang sehr gebrechlich. Sie besuchte jeden Gottesdienst
und jede Andacht. Meist war sie schon eine halbe Stunde vorher in der Kirche.
Nachdem wir Ministranten längst die Kerzen gelöscht hatten, kauerte sie immer
noch in ihrer Kirchenbank.
Sie
hatte gehört, dass zum Herz-Jesu-Fest in Mengkofen ein Pater kommen würde, der
ebenso wie sie ein glühender Marienverehrer war. Diese Predigt musste sie hören.
Aber wie von Hofkirchen nach Mengkofen kommen? Es gab noch kaum Autos in
Hofkirchen. Mit dem Fahrrad war es zu weit und viel zu anstrengend für sie. Das
einzig regelmäßig verkehrende Fahrzeug war das Milchauto, das die Milchkannen
in die Molkerei nach Laberweinting fuhr. Für ein kleines Trinkgeld erklärte
sich der Milchkutscher Sepp bereit, sie auf dem Rückweg als Passagier im Führerhaus
seines Lastwagens mitzunehmen.
An
diesem Sonntag war es besonders heiß und es waren viele Milchkannen an den
verschiedenen Milchbänken abzuladen. In jedem Dorf waren mehrere Haltestellen
anzufahren. Die Fahrt zog sich lange hin. Endlich waren sie in Mengkofen
angekommen. Die Nachmittagsandacht hatte bereits begonnen.
Der
Geistliche predigte von der Kanzel und pries die Mutter Gottes mit Versen aus
der Lauretanischen Litanei: „Du geheimnisvolle Rose. – Du elfenbeinerner
Turm – Du Königin der Jungfrauen“. Andächtig und gebannt lauschten die
Kirchenbesucher der wortgewaltigen Predigt. Man hätte eine Stecknadel fallen hören.
Schließlich kam auch die Edenhofer Mutti verspätet durch die Kirchentüre. Der
Pfarrer schmetterte gerade die rhetorische Frage in den Raum: „Oh du Morgenröte,
wo kommst du her?“ Die Karolina stöckelte mit ihrem schwarzen Tascherl durch
den Mittelgang am Weihwasserkessel vorbei und war höchst angetan von der
vermeintlich freundlichen Begrüßung und frohlockte: „Aus Laberweinting!“
Nach einer Erzählung niedergeschrieben von R.S.