Geschichte - Kriegsende 1945 von Konrad Stadler sen.

Aufzeichnung über die letzten Tage des Krieges 1945 in Hofkirchen.

Ostern war schon am 1. April. Putz Josef, Osterham ist noch nach einem Kurzurlaub fort und ist gefallen. Seine Marineeinheit war aufgelöst und er wurde kurzfristig noch zur Marine-Infanterie abkommandiert. Am 24. März, Karfreitag wurden Rohrmeier Hans und ich in Mallersdorf gemustert. Rohrmeier wurde zurückgestellt und ich K.V. Ers.Res. 1 Waffen-SS.

Die Flüchtlinge werden auch in Hofkirchen immer mehr. Kirchenglocke haben wir noch die kleine, die jetzt in Weichs die zweite ist. Geläutet wird nur bei Alarm, wenn der Feind sich nähert. Manche hoffen noch auf die neue Waffe und auf den Endsieg. Der sogenannte Volkssturm steht Gewehr bei Fuß. Nachtwachen sind immer in zweistündiger Ablösung. Auch in Hofkirchen spürt man schon das Kriegsgeschehen. Viel Militär kommt und geht wieder. Eine Luftwaffeneinheit ist da. In unserem kleinen Haus ist die Kommandantur. Prima Leute. Wir haben denen in den Apriltagen tüchtig eingeheizt, da das Wetter nicht einladend war.

Dann kamen Hunderte junge Soldaten, ungarische SS, die hatten Hunger. Wir hatten auch nichts. Wir haben den ganzen Tag auf unserem Ofen Kartoffeln gesotten. Salz hatten wir auch noch. Unser Stadel war voll von Militär. Stroh und Heu hatten wir auch nicht mehr. Man hätte sich im Stadel nicht  verstecken können. Diese ungarische Uttascha machten im Staatsforst Panzersperren. Sie gruben große Löcher aus und machten von schweren Bäumen Sperren.

Am 19. April musste ich nach Neufahrn. Dort ging es noch hoch her. Ein Jungbannführer Daiberl machte noch mal seine Überzeugung Kund: „Der Endsieg“. Es waren uns ca. 300 Jungen im Ramsauersaal. Er hat gleich kritisiert, weil die an der Wand aufgespannte Hakenkreuzfahne Falten aufwies. Er hat uns den Bereitstellungsschein verpasst. Er war mit dem Motorrad da. Die Post ging nicht mehr so recht. Bahnhöfe und Eisenbahnbrücken nach Landshut waren schon alle zusammengehauen. In der Zeit, wo wir im Ramsauersaal waren, fegten die Amis mit den Tieffliegern den Neufahrner Bahnhof ab, dass die Elektroleitungen grün und blau umherfuchtelten.

Am 20. April waren den ganzen Tag und die Nacht hindurch die Tiefflieger Herr der Lage. Kein Fahrzeug konnte sich sehen lassen. Die Eisenbahnzüge Straubing-Neufahrn wurden dauernd außer Gefecht geschossen. Lokführer kamen ums Leben. In Laberweinting waren Tankwaggons. Von dort konnte sich jeder holen, was er wollte. Huber Bauer aus Laberweinting kam dabei durch Tiefflieger ums Leben. Die Beerdigung vom Huber Bauer war dramatisch. Die Tiefflieger waren überall. Sie flogen in Haushöhe und tauchten plötzlich aus dem Nichts auf. Bei Reichermühle wurden einige Autos von der Straße weggeschossen.

Sogenanntes fahrendes Volk, ein Schausteller namens Bürstlein war gerade mit 3 Wohnwagen in der Huf-Kreppe unterwegs als die Tiefflieger angriffen. Beim ersten Anflug schossen sie ihm ein Pferd weg. Erst als der Mann in seiner Verzweiflung ein kleines Kind in die Höhe hielt, ließen sie von ihm ab.

Dann kam eine motorisierte, preußische Einheit ‘Jenko’. Sie fuhren pausenlos mit Lastwagen von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh Treibstoff in Richtung Poschenhof. Fahrzeug an Fahrzeug rollte vorbei. Auf beiden Kotflügeln saßen links und rechts Soldaten mit MG und MP.

Die Tage wurden immer turbulenter. Zeitung gab es nicht mehr. Das Radio, der sogenannte Reichssender München wurde gekappt. Es meldete sich das ‘Neue Deutschland’ unter Ritter von Epp. Aber nicht lange, die Partei bekam den Sender wieder in ihre Hand. Bei Nacht um drei Uhr kommt Ortsgruppenleiter Neß zu mir ans Schlafzimmer: „Aufstehen Stadler, der Feind steht in Steinrain.“ Er ist mit dem Fahrrad weiter nach Haader und ich zur Kirche. Ich sollte mit der einen Glocke Sturm läuten. Vorher bin ich aber noch ins Pfarrhaus und habe Pfarrer Steiger verständigt. Der sagte mir: „Auf gar keinen Fall läuten. Wir, bei Nacht die Leute aufschrecken - kommt nicht in Frage. Die haben nicht mehr lange das Sagen.“

Im ganzen Pfarrhofplatz und in den Ökonomiegebäuden war alles voll von Militär. Es ging zu, wie in einem Geisterdorf. Die ungarische SS zog dann in Richtung Straubing ab. Sie marschierten schon bei Nacht in Trupps zu 50 Mann. Wie man hörte sollen alle durch Tiefflieger umgekommen sein. Eine Nachhut war noch da, ein Militärpfarrer und Offiziere. Die haben sich auf dem Kirchturm postiert. Sie schlugen auf der Nordseite ein paar Bretter von den Schallfenstern heraus und waren mit einem MG Tag und Nacht dort auf Posten. Das dürfte der 22. April gewesen sein.

Dann, so um 3 Uhr Nachmittag kommt eine Menschenmenge von Laberweinting her. Lauter Gefangene. Franzosen, Engländer, Russen, Serben, alle Nationen. So eine Menge habe ich noch nicht gesehen. Sie wurden von Posten begleitet und auch schikaniert. Sie gingen so breit die Straße war. Es dauerte bis spät in die Nacht hinein. Zwei Engländer sind ihnen entkommen und haben sich im Gerl-Feldstadel versteckt bis die Amis kamen.

Am 23. April, Georgi.

Pfarrer Steiger feiert Namenstag. Eine Einheit der Luftwaffe liegt in Pfarrhof, Schulhaus, Wirtshaus und in allen Scheunen. Um 10 Uhr ist in der Pfarrkirche Festgottesdienst. Die ganze Kirche ist voll von Militär. Die ganzen Stühle, Empore, Gänge, alles gesteckt voll. Der Gottesdienst wird feierlich gestaltet von Pfarrer Steiger. An der Orgel Oberstleutnant und Organist des Kölner Domes mit der Schuberth-Messe. Sanktus-Heilig und Solo des Organisten. So eine Wucht klingt mir heute noch in den Ohren.

Die Soldaten bleiben bei uns da. Dieser Oberstleutnant ist im Pfarrhaus einquartiert.

Nun ist jeden Tag was Neues. Viel Soldaten kommen, hauptsächlich SS. Die wollen sich hier festsetzen. Dieser Leutnant wurde unser Retter. Die SS mussten auf ihn hören. Die Bauern mussten einspannen und die Soldaten nach Wörth und Niederviehbach transportieren. Und noch mal am Sonntag, den 29. April 1945 hat dieser Oberstleutnant eine ganze Horde von SS von Hofkirchen abkommandiert. Die hätten sich wieder im Roßmeier-Stadel festgesetzt.

Sonst war der 29. April 45 außergewöhnlich ruhig. Schon lange hatte es so etwas nicht mehr gegeben.

Mittag um 12 Uhr fährt ein Militärfahrzeug mit 3 Mann durch das Dorf. So ein Fahrzeug kannte ich nicht von der Wehrmacht. Die Soldaten hatten Helme, wie unsere Fallschirmjäger. Am Helm hatten sie 4 große rote Kreuze. Später konnte ich mir das schon erklären. Die haben sich die Lage angeschaut. Es waren schon die Amerikaner. Nun seit Tagen hört man schon von weitem das Dröhnen und Rollen der Panzer. Die sind ja schon auf der B15 von Regensburg her gefahren.

An diesem 29. April 45, ein Sonntag,  um etwa 15 Uhr kommen von Weichs die Panzer. In Weichs waren sie schon eine Zeit lang auf Wartestellung. Eine Menschenschlange Franzosen, Russen, Polen, Tschechen, Serben gehen den Panzern entgegen. - Ihre Befreiung.

Die Panzer kamen. wir haben erst am Kirchturm die Weiße Fahne gehisst. Das waren: Der Gastwirt Fellner Xaver, Johann Rohrmeier, und der alte Rohrmeier aus Haimelkofen (jetzt Steffl), und ich. Auch jedes Haus hatte die Weiße Fahne heraußen.

Die Parteigenossen wuchteten ihre Tafeln von den Häusern. Ortsgruppenleiter, Blockleiter und alles mögliche. Der erste Panzer hält vor unserem Haus. Ein Schuss von dem schweren Ding dass alles zittert. Mein Vater, kein Freund des 3. Reiches, schaut zum Fenster hinaus, das etwas getarnt von dürren Weintraubenblättern ist. Er kanzelt gerade den Bürgermeister ab. 12 Jahre konnte er nicht, Dachau wäre sein Schicksal gewesen. Bürgermeister Kerscher konnte dann Roider Emmeram als seinen Vertreter anbieten.

Mein Vater hat ihm soviel vorgeworfen, von Glockenablieferung bis zu den Hausdurchsuchungen, dass er psychisch nicht mehr dazu in der Lage war. Es sagte dann noch:

„Xaver ich weiß auch nicht, wer jetzt das Schicksal Deutschland in die Hand nimmt. Ich glaube“, sagte er, „die katholische Kirche.“

Dann riss der Kommandeur des Panzers den Deckel auf und fragte Roider Emmeram in klarer deutscher Sprache: „Ist Generalstab hier?“ Emmeram bedeutete ihm in 100 Meter, in der nächsten Gastwirtschaft. Dann fuhren die 3 Panzer los. Roider Emmeram musste sich vorne auf den Panzer als Zielscheibe setzen. Bei Roßmeier kamen schon alle Soldaten mit erhobenen Händen heraus. Sie wurden von den mitgehenden Amis durchsucht und gleich mitgenommen. Die Gewehre MP, und MG wurden an den Granitsäulen, die damals den Dorfgraben begrenzten, abgeschlagen und in den Graben geworfen.

Dann fuhren sie weiter. Bei der Gastwirtschaft Fellner angekommen, rennt ein deutscher Soldat vom Anwesen Bergmeier heraus. Er überquert die Straße und läuft zum Blaim ins Haus. Die Amis rufen ihn an und schießen mit der Vierlingsflack. Ein Schuss geht beim Bader durch den Firstbalken. Dann die ganze Garbe ins Blaim Haus. Herr und Frau Blaim standen jedes an einem Fenster. Sie schossen den Mittelpfeiler total heraus. Den beiden Blaim rechts und links am Fenster ist zum Glück nichts passiert. Den Soldaten haben die Amis im Haus gesucht aber nicht gefunden. Wie sich dann herausstellte, war er unter der Bettstatt versteckt. Die Franzen nahmen ihn dann über Nacht. Die Franzosen schlugen dann den Stacheldraht von den Tanzbodenfenstern und fühlten sich verständlich als freie Menschen.

Wir mussten uns auch einige Einschränkungen aneignen:

Niemand durfte auf der Straße fahren. Vom Hof  konnte keiner raus, alles war verkabelt. Wir hatten am anderen Tag eine Militärregierung. Die Gesetze wurden überall angeschlagen. Von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens durfte keiner aus dem Haus. Jedes Haus bekam an der Haustüre eine Registrierliste. Jeder, der im Haus ist, mit Geburtsdatum, Vor- und Zuname war verzeichnet. Eine Registrierkarte musste mitgeführt werden.

Dann beginnt wieder eine arme Zeit. Niemand hatte etwas. Flüchtling kommen in großen Mengen. Ganze Bezirke aus Ungarn mit Pferd und Wagen. Später dann unheimliche Scharen aus der Tschechei und aus Schlesien. Man kann sich das nicht vorstellen, welche Einschränkungen und Not herrschte.

Die Kirche war am Sonntag zu klein. Der ganze Arbeitsprozess kam ins Schleudern. Im Staatsforst lagerte viel Grubenholz. Es wäre verkauft gewesen. Dort aber war der Russe. Dieses Holz brauchte zum Teil die Bäckerei Meindl zum Backen. Kohle gibt es nicht mehr, auch keinen elektrischen Strom. Bruckmoser Franz fährt mit dem Lanz zum Futterschneiden von Hof zu Hof. Die Wälder sind sauber. Keine Steckerl findet man.

Am 8. und 9. Mai war in Hofkirchen ein Fest- und Dankgottesdienst auch für die glückliche Heimkehr dieses Offiziers, der Hofkirchen aus dieser Kriegsnot gerettet hat und dessen Name und weiteres Schicksal niemand bekannt ist.

Verfasst von Konrad Stadler, im April 1995